Jungen ecken im Alltag öfters an, als gleichaltrige Mädchen. Diese Diskrepanz im Sozial- und Leistungsverhalten zeigt sich in Folge auch im schulischen Kontext. „Dabei gibt es keine Hinweise darauf, das Jungen weniger intelligent oder talentiert wären als Mädchen. Ihr Schulerfolg ist nur im Schnitt schlechter, als auf Basis ihrer Kompetenzen zu erwarten wäre. Schulabbrecher und Kinder, die gar keinen Abschluss schaffen, sind ebenfalls mehrheitlich Jungs, ein Umstand, der immer wieder mal als „Krise der Jungen“ beschrieben wird. Jungen fallen durch eine im Vergleich zu Mädchen verzögerte Entwicklung ihrer Selbstregulierung auf und hinken Mitschülerinnen insbesondere in der Lese- und Rechtschreibkompetenz hinterher“ so Matthias Gründe, Bildungsforscher von der Universität Köln.
Zusätzlich zeigen Studien, dass Jungen häufiger vom Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom – mit oder ohne Hyperaktivität – (AD(H)S) und der Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) betroffen sind als Mädchen. Allerdings gibt es dabei einige wichtige Faktoren zu beachten:
1. ADHS:
Jungen werden etwa 2-3 Mal häufiger mit ADHS diagnostiziert als Mädchen. Sie zeigen oft ausgeprägtere Symptome wie Hyperaktivität und Impulsivität, während bei Mädchen die Unaufmerksamkeit oft stärker im Vordergrund steht und daher seltener erkannt wird. Das kann dazu führen, dass ADHS bei Mädchen unterdiagnostiziert bleibt.
2. Lese-Rechtschreib-Schwäche:
Jungen sind ebenfalls häufiger von LRS betroffen als Mädchen, wobei das Verhältnis etwa 3:1 beträgt. Ein Grund könnte sein, dass Jungen sprachliche Fähigkeiten langsamer entwickeln als Mädchen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Jungen häufiger schulische Schwierigkeiten durch Verhaltensauffälligkeiten kompensieren, was zu einer schnelleren Diagnose führen kann.
3. Alltagsprobleme:
Da ADHS und LRS Einfluss auf schulische Leistungen, soziale Interaktionen und Selbstbewusstsein haben, kann es für betroffene Jungen schwieriger sein, im Alltag zurechtzukommen. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass Mädchen mit ähnlichen Schwierigkeiten weniger oft Hilfe oder Diagnosen erhalten, weil sie ihre Probleme besser kaschieren können.
Fazit: Jungen haben häufiger Probleme im Alltag oder werden zumindest öfter diagnostiziert. Das bedeutet aber nicht, dass Mädchen seltener von AD(H)S oder einer LRS betroffen sind, sondern oft einfach anders damit umgehen oder übersehen werden.
Welche Aufgaben für Pädagogen und Eltern ergeben sich folglich hieraus?
Für Pädagogen:
1. Früherkennung und individuelle Förderung:
– Auffälligkeiten im Verhalten und Lernen frühzeitig wahrnehmen.
– Diagnosen nicht vorschnell stellen, sondern professionelle Fachkräfte einbinden.
– Unterstützende Maßnahmen wie Nachteilsausgleiche oder spezielle Förderprogramme nutzen.
2. Differenzierte Förderung:
– Methoden anpassen: Mehr Bewegung, Struktur und klare Regeln z.B. für ADHS-Kinder.
– Alternative Lernmethoden für Kinder mit LRS, z. B. multisensorisches Lernen (Hören, Sehen, Fühlen kombinieren).
– Mädchen nicht übersehen: Auch sie können still leidende Betroffene sein.
3. Soziale Unterstützung:
– Verständnis und Geduld im Umgang mit betroffenen Schülern zeigen.
– Mobbing vorbeugen und Selbstbewusstsein stärken.
– Zusammenarbeit mit Eltern und Fachkräften fördern.
4. Individuelle Lernstrategien vermitteln:
– Klare und strukturierte Anweisungen geben.
– Häufige Wiederholungen und visuelle Hilfsmittel nutzen.
– Motivation durch Erfolgserlebnisse stärken.
Für Eltern:
1. Akzeptanz und Verständnis:
– Das Kind nicht als „faul“ oder „unwillig“ abstempeln.
– Geduld zeigen und individuelle Lernwege unterstützen.
2. Alltagsstruktur und Unterstützung:
– Klare Tagesabläufe und Routinen schaffen.
– Lernzeiten anpassen und Pausen einplanen.
– Hausaufgaben begleiten, aber nicht alles für das Kind erledigen.
3. Zusammenarbeit mit der Schule:
– Den Austausch mit Lehrkräften suchen.
– Nachhilfe oder Therapie in Betracht ziehen, falls nötig.
4. Emotionale Unterstützung:
– Erfolge loben und Selbstwertgefühl stärken.
– Stress reduzieren und Druck vermeiden.
– Freizeitaktivitäten ermöglichen, die das Selbstbewusstsein fördern.
Eltern und Pädagogen müssen gemeinsam dafür sorgen, dass betroffene Kinder frühzeitig erkannt, individuell gefördert und sozial unterstützt werden. Dabei sollten sowohl Jungen als auch Mädchen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen berücksichtigt werden. Nur so können die daraus resultierenden schwerwiegende Probleme im Alltag minimiert werden.